austerlitz: Wenn ich Sie richtig verstehe, würden Sie beim Mittelniederdeutschen dazu tendieren, dass es sich eher um eine eigenständige Sprache handelt, während es beim Neuniederdeutschen eher nicht der Fall ist? Dieser Auffasung kann ich nicht ganz folgen, da man damit dem Neuniederdeutschen Unrecht tun würde - nur weil es einfach weniger gebraucht wird.
Es geht mir nicht darum, irgendjemandem Recht oder Unrecht zu tun. Ich möchte bloß die Situation so beschreiben, wie sie ist. Und da sehe ich eben fürs heutige Niederdeutsche die Kriterien, die auf eine Eigensprachlichkeite hindeuten, viel weniger erfüllt als fürs Mittelniederdeutsche. Es ist doch keine Herabsetzung, wenn das Niederdeutsche nicht als eine eigene Sprache, sondern als ein Dialekt bezeichnet wird. Im Gegenteil, mir gefällt ein reicher Dialekt, der zu einer großen Literatursprache gehört, besser als eine arme Sprache, die kaum jemand spricht.
Zur Standardisierung des Niederdeutschen: Nun, es gibt immerhin eine einheitliche Rechtschreibempfehlung - nach dem Sass-Buch (quasi der Duden des Plattdeutschen).
Das bezweifle ich. Laut dem Wikipedia-Artikel zur niederdeutschen Sprache gelte die Sass’sche Schreibung am ehesten für die nordniedersächsischen Dialekte, während sie für die westfälischen Dialekte wenig geeignet sei und auch im Mecklenburg-Vorpommern andere Konventionen bestünden. Unerwähnt bleibt, dass auch die Dialekte in den Niederlanden eine andersartige Schreibung verwenden, die – es ist keine große Überraschung – sich nicht ans Hochdeutsche anlehnt, sondern ans Niederländische. Der Streit über die Schreibung hat übrigens dazu geführt, dass sich die Niederdeutsche Wikipedia in eine deutsch-niederdeutsche und eine niederländische Wikipedia gespalten hat.
So kann ich mir durchaus vorstellen, dass in Rathäusern in Ostfriesland durchaus auch Platt gesprochen wird.
Auch in den Städten? Auch auf Landesebene? Wie wird man begrüßt, wenn man einen Laden betritt? Oder ein Krankenhaus? Wechseln Lehrerinnen und Lehrer auf Plattdeutsch, sobald es nicht mehr um die Vermittlung von Lehrinhalten geht? Ich gestehe bereitwillig ein, dass ich die Antworten nicht weiß, aber mein Eindruck ist eben der, dass in solcher Hinsicht das Niederdeutsche nur selten verwendet wird und eher in abgelegenen, ländlichen Gebieten.
Zu Ihren Videos (Schweizerdeutsch?): Hier habe ich große Schwierigkeiten alles zu verstehen. Insbesondere beim ersten Video.
So was aber auch – dabei habe ich extra ein Video ausgesucht, wo eine moderne, urbane Sprache verwendet wird.
Luxemburgisch gilt meines Wissens nach aber als hochdeutscher Dialekt.
Die Meinungen sind verschieden. Es zeichnen sich jedenfalls Tendenzen zu einer zunehmenden Eigensprachlichkeit ab – Verwendung in Institutionen, inklusive Rechtschreibung, Ausstrahlung auf benachbarte Gebiete.
Was mir gerade einfällt: Wenn ich altsächsische (altniederdeutsche) Texte mit althochdeutschen Texte vergleiche, ist der Unterschied kaum anders, als Neuhochdeutsch zu Neuniederdeutsch. Und zumindest bei diesen beiden Beispielen grenzt die Sprachforschung das Altsächsische vom Althochdeutschen (mit seinen eigenen Dialekten) durch die fehlende zweite Lautverschiebung ab.
Da würde man aber eher argumentieren, dass es sowieso nur Dialekte gab. Wenn überhaupt eine bestimmte Varietät als überregionale Sprache sich hervortat – so wie später das Mittelniederdeutsche oder heute das Hochdeutsche –, dann allenfalls vielleicht das Fränkische unter Karl dem Großen, doch davon ist kaum etwas überliefert.
Abstandsprache lt. Wikipedia: Bezeichnet man eine Sprachvarietät, die so verschieden von jeder anderen Sprachvarietät ist, dass sie unmöglich als Dialekt irgendeiner anderen Varietät aufgefasst werden kann.
Von unbestrittenen Abstandsprachen kann man aber nur bei nicht direkt verwandten Varietäten sprechen, etwa Baskisch im Bezug auf Spanisch, Sorbisch im Bezug auf Deutsch oder den eingeborenen Sprachen Nordamerikas in Bezug auf das Englische. Bei enger Verwandtschaft hingegen greift das Kriterium der Abstandsprache nicht richtig. Darum hält man sich dabei besser an das Kriterium der Ausbausprache (das ich oben als Institutionalisiertheit und Ausstrahlung paraphrasiert habe), wonach etwa die Unterscheidung zwischen Deutsch und Niederländisch oder zwischen den skandinavischen Sprachen gezogen wird.